Montag, 13. September 2010

Der kolonialisierende Blick

Trauerarbeit: den Blick zurückwerfen

Im zweiten Teil zur „Zähmung des Auges“ geht es um den kolonialisierenden Blick, der meint alles zu durchdringen und zur Vorschau bringen zu können: das Fremde in der Ausstellung ausziehen und vorführen.

Der kolonialisierende Blick ist die Geste, die sich das Geschaute aneignet im (fotographischen) Bild. Es ist der Blick einer Kultur, für die, wie Vilém Flusser gesagt hat, „die Reflexion eine Strategie und keine Selbstpreisgabe“ ist. Eine notwendige Voraussetzung für das Gelingen dieses strategischen Verfahrens ist es, dass der Bild-Schaffende (der Fotograf, Ethnologe, Soziologe, Geologe, Feldherr, Oligarch) selbst nicht ins Blickfeld tritt. Die grausame Geschichte der Kolonialisierung wäre nicht denkbar ohne diese Strategie: Selbstreflexion im fremden Anderen. Die „Wilden“ werden (als Abbild unserer Schrecken, Ängste und Sehnsüchte) gesehen. Was sie sehen (in uns) hingegen, gerät nicht ins Bild.

Im Sommer 2006 sah ich – eher zufällig – auf dem Salzburger Mönchsberg die Ausstellung „Black box“ von William Kentridge, die mich noch lange beschäftigen sollte. „Black box“ ist eine Zusammenstellung von Animationsfilmen, kinetischen Plastiken und Zeichnungen, die in einem mechanischen Miniaturtheater untergebracht sind. Drei Assoziationsebenen eröffnen sich durch die „Black box“: die Guckkastenbühne des traditionellen bürgerlichen Schauspiels, das Gehäuse einer Filmkamera, der Flugschreiber, der zur Aufklärung von Flugunfällen herangezogen wird. Dies ist das Instrumentarium, das Kentridge zur Untersuchung des Massakers deutscher Truppen an den Hereros 1904 in Namibia verwendet. Hineinschauen, Abschießen, Festhalten. Die klassischen Techniken des kolonialisierenden Blickes. Doch Kentridge wendet sie um: indem er sie als Strategien selbst sichtbar macht und indem er durch sie den Blick zurückwendet auf die Kolonialherren. Eine Recherche in die andere Richtung. Was schrieben die  Deutschen aus Namibia nach Hause? Wovor fürchteten sie sich? Ein Koffer aus Berlin. Dokumente des Lebens in der Fremde.  Was wir sehen sind Schatten. Nashörner. Ein Lautsprecher spielt Mozarts „Zauberflöte“. Die Schatten wechseln unaufhörlich die Gestalt. Aber: Wir können sie nicht sehen, ohne den Gestalten Bedeutung zu verleihen.

„Die Idee des Kolonialismus und die Rechtfertigung der Europäer für ihr Vorgehen gehen direkt auf die Zauberflöte und Platon zurück: Man wollte dem sogenannten dunklen Kontinent mehr Licht bringen, wenn es sein muss mit Gewalt.“, schreibt Kentridge.

Wir verstehen die Welt durch Instrumente: mechanische Apparate, Objektive und Okulare, Aufnahme- und Abspielgeräte. Wir wünschen, uns aufzuklären. Das führt zu  Eingriffen in die Welt. Die jedoch nimmt nicht mehr das Auge vor, sondern die Hand (am Abzug der Gewehre.) Die „Inquisition des Auges“ (Markus A. Hediger) wird stets erst durch die Hand vollendet.

Aber: Wir sind keine Maschinen. Wir könn(t)en Trauerarbeit leisten.







(William Kentridges Arbeit wurde von der Deutschen Bank in Zusammenarbeit mit der Solomon R. Guggenheim Foundation in Auftrag gegeben. Die Deutsche Bank schaut auf ihre Vergangenheit. Es ist jedoch ausschließlich der Blick zurück, den die Herren nicht nur dulden, sondern fördern. Es wird – so sieht es aus - erneut Trauerarbeit nötig sein, wenn die zurückschauen, die heute Opfer der Welt-Sicht aus den oberen Etagen der Glastürme sind.)

3 Kommentare:

  1. vorzueglicher text.
    baust du auch den “schuss zurueck ” von Julius von Bismarck mit ein, den ich hier in teil 1 unter Nicht/Fuer die Ewigkeit hatte/habe?

    auch passt der Gottfried Helnwein mit seinem Bild herein, das als plattencover fuer die SCORPIONS verwendet wurde:
    http://1.bp.blogspot.com/_ELBH64zRIb0/RxAYnVI1JeI/AAAAAAAAApk/aaLJoVFxdjE/s400/Gottfried%2BHelnwein-Self-portrait%2B2.jpg

    schoen, dass sich unsere arbeit so kreuzt.

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  2. Liebe Julia, ich hatte an Julius von Bismarck noch gar nicht gedacht in dem Zusammenhang, aber du hast Recht, dieser "Schuss in die Kamera" passt genau dazu: den Blick "herumdrehen". Diese Idee, über William Kentridge zu schreiben, kam mir erst vorgestern, als ich den "durchschauenden Blick" plötzlich (vorläufig, wer weiß, wo ich noch hingerate) als "Kolonial-Blick" identifizierte.
    --Das ist momentan sowieso ein schreckliches Chaos hier auf meinem Schreibtisch und in meinem Kopf. Ich weiß nie, was ich noch "einbaue" oder weglasse. Immerzu fällt mir noch etwas ein: Notizen, Bilder, Gedichte. Dann lasse ich am Ende doch fast alles weg (sonst wird nie ein Abschnitt "fertig".)

    Ja, ich freue mich auch an diesen "Kreuzungen".

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  3. das ist ein gutes zeichen, du bist im fluss, befruchtet mit ideen. ;)
    ich bin vom umschaufeln meiner texte und vom virtuellen umzug in den neuen blogg geschafft. es braucht erst eine weile der eingewoehnung... bevor ich wieder zur sache komme. haette nie gedacht, wie kartenhaeusig einige meiner arbeiten angelegt waren. abgesoffene links mussten neu gesetzt werden, texte kopiert werden, damit das endstueck nicht unlesbar wuerde. an einer wiederaufbereitung eines einzigen textes sass ich mal 4h. das malt ein aussenstehender sich gar nicht aus. mir gibt es zu denken. auf fluechtigem boden muss ganz anders gearbeitet werden. hab eine methode gefunden, wie ich mich kuenftig absichern kann.
    buecher zur koerpersprache gibts ja schon ne menge. deine persoenliche herangehensweise gefaellt mir.

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