Mittwoch, 9. März 2011

FLEISS UND PREIS

„Wie geht es Judith?“, wollte Gabi wissen. Elke hatte mit der Frage gerechnet und sich eine Antwort zurecht gelegt: „Sie kämpft. Im Moment sieht es ganz gut aus. Aber keine kann sagen, wie es ausgeht.“ Gabi nickte. Sie spürte, dass Elke das Thema nicht vertiefen wollte und im Grunde war ihr das nur Recht. Ärzte hatten Judiths Gebärmutter entfernt; gegenwärtig bekam sie Bestrahlungen. „Und du?“ Nach einer  Kunstpause sagte Elke: „Da gibt´s jemanden.“ Gabi lächelte. Es gab immer jemanden in Elkes Leben. „Einen Neuen?“ Elke nickte. „Jünger. Viel jünger. Ganzkörpertätowiert.“ Gabi setzte ihre Tasse ab. „Nee.“ „Doch.“ „Wie....?“ „Ganz feine Furchen, die Fingerkuppen, meine zumindest, sind nicht empfindsam genug.“ „Das meinte ich nicht...Ganz?“ Elke lachte: „Ach das...Ja, ganz. Ganz.“ Sie grinsten sich an. „Eine Rose“, antwortete Elke nach einer Pause auf die Frage, die in der Luft lag, aber nicht ausgesprochen wurde. „Klassisch.“ Das Gespräch verstummte für eine Weile. Beide waren in Gedanken. An die Rose. Für Elke waren es Erinnerungen, für Gabi Wunschträume. Schließlich nahm Elke noch einen Schluck Latte macchiato und leckte den Schaum von den Lippen. „Er weiß allerdings auch, was er verlangen kann.“ „Verlangen?“ Elke lenkte ab. „Und du? Was gibt es bei dir Neues?“

„Was schon? Es geht seinen Gang. Die Agentur läuft gut.“ „Darauf wollte ich eigentlich nicht hinaus. Du wirktest letztes Mal bei Manuela ziemlich ...“ Elke suchte nach einem Wort: „...frustiert.“ Als sie es aussprach, wusste sie schon, dass diese Wortwahl falsch war. Gabis Mundwinkel sanken auch sofort nach unten. „Ich meine...“ bemühte sich Elke, es wieder gut zu machen, „irgendwie ein bisschen geschafft.“ Gabi wischte heftig mit der Hand über den Tisch. „Und wenn schon. Weil ich meine Ansprüche der Realität anpasse, haltet ihr mich für eine frigide, frustierte alte Kuh, oder was?“ Elke war durch den Ausbruch geschockt. „Aber darum ging es doch gar nicht...“ „Nein? Genau so kam es mir aber vor. Manuela lachte sich kaputt, weil ich auch mal die Beine breit mache, wenn ich keine Lust habe; Judith schüttelte weise ihr Haupt und du lässt ja eh nichts anbrennen.“ So vulgär hatte Elke Gabi noch nicht reden hören. „Du bist ganz schön sauer, was?“ „Weil ihr euch in die Tasche lügt. Kann ja sein, dass Judiths Mann so ein Wunderknabe ist. Aber Judith ist auch...eben Judith. Das Glückskind.“ Elke unterbrach sie: „Echt, Gabi.“ „OK, ´schuldigung. Sie hat Krebs. Aber ihr Mann ist außergewöhnlich. Kein bisschen Gehabe. Der Gentleman schlechthin.“ „Sie haben sich getrennt.“ „Was?“ „Er arbeitet doch seit Jahren unter der Woche in London. Ich denke, sie haben sich auseinander gelebt.“ „Er lässt sie im Stich? Jetzt? Das hätte ich nie von ihm gedacht.“ „Nein“, beeilte sich Elke richtigzustellen. „So ist es nicht. Judith hat Schluss gemacht.“ Gabi war fassungslos. Plötzlich kamen ihr die Tränen. „Ach, Scheiße.“ Ihre Wimperntusche rann über die Wangen; sie wischte sie mit einer unwirschen Bewegung weg. „Ich bin froh, wenn meiner ab und an zu den Huren in den Puff geht. Weißt du das? Wenn er da kriegt, was er will, habe ich wenigstens meine Ruhe.“ Elke verstand es wirklich nicht. „Warum bleibst du bei ihm?“ Gabi sah auf: „Was könnte schon nachkommen? Er sieht gut aus. Er ist erfolgreich. Er liebt mich.“ Sie sah das grimmige Lächeln in Elkes Gesicht. „Nein, wirklich. Wir machen tolle Reisen. Wir haben dieselben Interessen. Ich will nicht allein leben. Oder auf der Suche sein. Er verlangt auch gar nicht viel. Ein wenig Entgegenkommen. Und zwischendurch...Ich denke, da läuft manchmal was. Es stört mich nicht. Im Gegenteil: Es entlastet.“ Elke konnte ihre Abscheu nicht verbergen. „Tut mir leid, das klingt wirklich frustriert. Und, entschuldige: abstoßend. Du machst die Beine breit´?“ „So habe ich das nicht gemeint. Entgegenkommen, das ist es. Ein bisschen Nachgeben.“ „Wozu?“, fragte Elke. „Aber du hast doch auch gesagt, damals bei Manuela...“ Elke rückte vom Tisch ab. „Das ist ganz was anderes. Ich meinte bloß: Frauen müssen auch was investieren. Ein wenig Phantasie und Abwechslung bieten. Wenn sie mehr wollen. Als 08/15.“ Gabi musste doch lachen: „Eine Rose...zum Beispiel.“ „Genau...“ Sie sahen sich in die Augen. „Ich habe das nicht so gemeint. Das ´abstoßend´, meine ich. Ich verstehe es bloß nicht. Aber Judith verstehe ich auch nicht. Oder Manuela. Jede ist anders. Und jedes Paar.“ Gabi nickte. Aber sie sah müde aus, als sie auf die Uhr schaute: „Ich muss los...War schön, dich zu treffen.“ Elke sah Gabi nach, wie sie durch das Lokal zur Tür ging: eine elegante, sehr schlanke und große Frau im Designer-Kostüm, das dunkle Haar zu einer Retro-Hochsteck-Frisur aufgetürmt, eine Handtasche wie Jackie Kennedy am Arm. Elke dachte, dass die Freundin es nicht nötig hatte, „die Beine breit zu machen“, um einen Kerl zu halten, der sie offenbar nicht glücklich machte. Aber:  Alles hatte seinen Preis, war Elke sicher. Auch ihr Rosen-Kavalier wusste genau, was er sich wert war. Er erwartete Anbetung und Fleiß – auf den Knien. Und sie gab ihm beides.

2 Kommentare:

  1. Das ist ja großartig. Sehr interessant, die verschiedenen Standpunkte. Vielleicht könntest Du die Frauen noch ein bisschen mehr beschreiben und ein wenig weniger wörtliche Rede verwenden.

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  2. Meine Idee geht eher in die umgekehrte Richtung. Noch radikaler alles Beschreibende ausblenden. Denn es wird in dieser Serie ja niemals Handlung geben, sondern immer nur Gespräch. Wie in dem Film, der sie inspiriert: "Women", in dem auch nur geredet wird über Männer, aber nie einer auftaucht. Und Beschreibung ohne Handlung geht irgendwie nicht gut, für mich jedenfalls. Also eher hin zu Ivy Compton-Burnett. Aber dazu ist die Form jetzt noch zu brav, zu konventionell. Ich taste mich da ran. (und nachher wird´s doch wieder ganz anders...)

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