Freitag, 29. Juli 2011

A DANCE TO THE MUSIC OF TIME lesen (3)


Ein Beitrag von MOREL

I tried but could not find a way
Looking back all I did was look away
Next time is the best we all know
But if there is no next time where to go
Roxy Music, Remake Remodel

Die dritte Folge meines Lektüreberichts führt uns nun an das Ende des zweiten Bandes dieses zwölfbändigen Romanzyklus. Der Titel A Buyer’s Market stellt dabei nicht das einzige Rätsel dieses im Vergleich zur ersten Lieferung dichter gefügten Werkes dar. Wieder beginnt Powell mit einem Rückblick aus der noch fernen Zukunft, in der er schreibt. Und damit wird der Leser erneut darauf aufmerksam gemacht, dass er Erinnertes liest und nicht Erlebtes (was nur im Idealfall identisch wird). Die Unzuverlässigkeit der Erinnerung, aber auch – ein weiteres Rätsel - des sich häufig irrenden Erzählers (gibt es einen Erzähler zweiter Ordnung, der sich an die Irrtümer des eigentlichen Protagonisten erinnert oder sind die Irrtümer unvermeidlich, weil der Tanz des Lebens keine einheitliche Perspektive erlaubt ?), führt nun zu einigen abrupten Wechseln der Perspektive auf schon bekannte Figuren. Widmerpool, der bisher nur als Karrierist geschildert wurde, hat eine kaum karriereförderliche Affäre mit der jungen Sozialistin Gypsy, die damit endet, dass er ihr eine Abtreibung bezahlt. Seine Karriere macht trotzdem einen großen Schritt nach vorne, indem er in das Handelshaus des ein wenig mysteriös wirkenden Finanziers Donners eintritt. Stringham, ebenfalls Assistent von Donners,  scheint sich nach einer aufgelösten Verlobung zunächst dem Alkohol und dem Weltschmerz hinzugeben, um dann plötzlich doch zur Hochzeit einzuladen. Das sind in der Allegorie des höfischen Tanzes, unter deren Herrschaft Powell seinen Roman stellt, kleine Positionswechsel, Wendungen, die den Tänzern neue Partner bescheren und neue Lagen eröffnen. Auch wenn der Roman in den Rückspiegel blickt, genießt er die Überraschungen des Lebens. Wiederholte Spiegelungen eben.

Ein Buyer’s Market, um zum Titel zu kommen, ist einer, an dem die Preise fallen, die Käufer also nur auf den Tiefpunkt warten müssen, um zuzuschlagen. Bei einer Wohnungsauflösung entdeckt Jenkins Bilder des ihm bekannten Malers Deacon, dessen Bilder zwar in einigen der von ihm besuchten Salons hingen (wenn auch nicht an den prominentesten Plätzen), der aber am Kunstmarkt niemals reüssierte. Die Bilder sind nun wertlos. Anders als Prousts Elstirs ist Deacon daher nicht seiner Zeit voraus, sondern allenfalls aus der Zeit gefallen, vielleicht aber auch einfach talentlos. Die Zeit jedenfalls ist hier nicht die Erlöserin, sondern die Vernichterin aller Werte.

Aber es geht eigentlich nicht um den Kunstmarkt in diesem Band, sondern um mehr oder weniger unglückliche Liebe. Vielleicht ist sie der Buyer’s Market, in dem derjenige, der unerwidert liebt, als Verkäufer seiner überschüssigen Gefühle auftreten muss. Der Erzähler jedenfalls treibt von Salon zu Salon, von Debütantenball zu Landpartie, ohne auch nur einen Schritt in der Eroberung der burschikosen, flatterhaften Barbara weiterzukommen. „Don’t be so sentimental“, ist ihr Lieblingsspruch. Die Erzählung von den Abenteuern Widmerpools mit Gypsy irritiert ihn daher nicht gerade wenig. Die Eifersucht erhebt zaghaft ihr Haupt, obwohl er Gypsy zuvor kaum be- und vielleicht sogar verachtet hat. Auch die Berichte über den Wohlstand eher mediokrer Zeitgenossen aus der Finanzwelt, während er einen schlecht bezahlten Job als Lektor in einem Kunstverlag angenommen hat, schmerzen. Nicht immer ist dieser Erzähler uns in seiner Unentschlossenheit und Borniertheit sympathisch. Wenn er sich über den Eindruck der von Deacon zu einer Abendeinladung mitgebrachten pazifistischen Flugblätter sorgt, erscheint er mir etwa ausgesprochen kleinlich.

Am Ende, nach dem Begräbnis des überraschend gestorbenen Deacon, wird er von der als Eva für ein Kostümfest verkleideten Gypsy (der noch vor kurzem von Widmerpool verehrten Dame also) auf eine Couch gebeten, um endlich die Erfahrung zu machen, von der er bisher – zumindest im Roman – hat nur reden hören. Nun, ein Updike oder gar Bataille will Powell nicht sein, aber auch er feiert die Überschreitung, in seinem so kühlen wie beweglichen Stil, der etwas von barockem Marmor hat (in dem die Bewegung ja gefroren ist; die Bewegung entspricht dabei dem Leben, der Marmor der erinnernden Reflexion): „I was conscious of Gypsy changing her individuality, though at the same time retaining her familiar form; this illusion almost conveying the extraordinary impression that there were really three of us – perhaps even four, because I was aware that alteration had taken place within myself too – of whom the pair of active participants had been, as it were, projected from out of our normally unrelated selves.”  Es kommt also darauf an, die angenommenen Rollen immer wieder abzulegen, um neue anzunehmen, und dazu verhilft dem immer noch ungelenken, ungeschickten Jenkins, eine als Eva verkleidete junge Frau, die ihm fremd ist und auch bleibt. Einen Apfel hat diese Eva nicht, dafür trägt sie ein Feigenblatt: es ist die kalte Welt nach dem Sündenfall. Die Liebe aber ist hier ein Maskenball, der auch etwas von verzaubernder Magie hat. Von dieser Kraft der Veränderung durch die Begegnung mit dem Unerwarteten erzählt Powell in diesem zweiten Band, der so elegant und wahrscheinlich nur mich an das Ende von The great Gatsby erinnernd schließt: „Life seems to have begun in earnest at last, and we ourselves, scarcely aware that any change has taken place, are careering uncontrollably down the slippery avenues of eternity.“  Dass diese rutschigen Straßen zur Ewigkeit führen sollen, würde die Protagonisten seines Romans überraschen. Sie sind in ihren Tanzfiguren gefangen, in den Spiegelungen dieses sehr reflektierten Romans aber, kommen sie in den Genuss der Ewigkeit der für immer still stehenden Bewegung. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen