Samstag, 24. September 2011

Ratzinger Blues

Ein Beitrag von Morel

Es ist mir Ehre und Freude, dem Papst für seine Rede im Bundestag zu danken. Wie die Süddeutsche Zeitung, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Welt, die Frankfurter Rundschau und selbst der sich nun endlich von seinem verbohrten Vater emanzipierende Herausgeber des Freitags haben mich die rechtsphilosophischen Ausführungen des Papstes zur Umkehr bewogen. Im Sinne von Martin Mosebach und Pop-Katholik Matussek möchte ich der ewigen Nörgelei nun Einhalt gebieten und ein lobendes Wort über die Ausführungen vom Donnerstag verlieren.

In seiner Rede vor den Abgeordneten des deutschen Bundestags nannte Papst Benedikt XVI. zweimal den Namen eines in Prag geborenen, deutschsprachigen Rechtsgelehrten der unbestritten zu den bedeutendsten seiner Zunft gehört. Hans Kelsen, war der Verfasser der Reinen Rechtslehre. Diese Wissenschaft vom Recht sollte sich nur mit den gesetzten Rechtsnormen befassen, nicht mit deren Ursprung in Sitte und Moral, das bekannteste und provokante Zitat in diesem Zusammenhang: Darum kann jeder beliebige Inhalt Recht sein. Kelsen arbeitete auch an einer Verfassung mit, der österreichischen von 1920, bei Ausarbeitung des Grundgesetzes war er leider andernorts verpflichtet. Aber sein „positivistisches Verständnis von Natur und Vernunft“ wird inzwischen, so Benedikt der IV. „fast allgemein angenommen“. Nur tapfere Nonkonformisten beharren noch auf dem alten Naturrecht. Der Papst ist nicht genug dafür zu loben, unsere Bundestagsabgeordneten an diesen großen Rechtsphilosophen und Liberalen erinnert zu haben, dessen Rezeption in Deutschland offenbar im Geheimen verlief, da er in unseren Schulen und Universitäten kaum gelehrt wird. Immerhin war es auch Deutschland, das Kelsen mit dem Verweis auf seine jüdischen Eltern, im Jahre 1933 die Lehrerlaubnis entzog, worauf er über Prag und Genf schließlich nach Kalifornien emigrierte. Es war auch Deutschland, in dem der auf sehr originelle Weise katholische und die Liebe der Frauen nicht verachtende Carl Schmitt, der erbitterte Gegner Kelsens, in den 50er Jahren regelmäßig von späteren Verfassungsrichtern, Historikern und Politikwissenschaftlern in seinem Exil im Sauerland besucht wurde. Dort wurden dann die Antinomien des Liberalismus, die Abgründe des Relativismus und die Gefahren der Demokratie beschworen, bevor es wieder zurück an den Katheder und in die Industriebüros ging. Um dann jedes Jahr wieder an die Voraussetzungen zu erinnern, die der demokratische Staat leider nicht selbst schaffen kann. Natürlich wusste der geistig rege, wenn auch in seinem „Vaterland“ leicht benommen wirkende Papst, wo er seine Rede hielt. Nicht in Österreich oder Kalifornien, nicht in Genf oder Prag, sondern in Deutschland, dem Land des Naturschutzes und des Naturrechts. Wo ein großer Anhänger des Naturrechts wie Carl Schmitt die Weisheit besaß, Massenmorde als einen Schutzakt des Führers gegenüber dem Recht zu deuten. Hier kann man nicht einfach auf das positive, von Menschen gemachte Recht vertrauen. Nein, der Liberalismus und Relativismus, die Zersetzung der Werte stehen am Beginn der bekanntlich schlimmsten Menschenverbrechen. Der Papst nennt es in vornehmer Zurückhaltung und der „Hoffnung, nicht allzu sehr missverstanden zu werden“ einen „Vorgang in der jüngeren politischen Geschichte“. Was im Übrigen auch Carl Schmitt schon so gesehen hat. Hitler sei ja schließlich auf streng legalem Weg an die Macht gekommen. Also muss der Papst, der Schmitt keineswegs zitiert, natürlich exakt in Deutschland und mit Bezug auf den erwähnten Vorgang, den Emigranten Kelsen ein wenig in die Schranken weisen. Mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen. Ohne ein letztes Fundament, drohe der Abgrund. Immerhin sei Kelsen im hohen Alter von 84 Jahren zur Vernunft gekommen und habe den Abgrund zwischen Sein und Sollen endlich aufgegeben auch wenn er sich störrisch bis zuletzt Gott verweigert habe. Einfacher gestrickte Menschen als der große Intellektuelle Ratzinger könnten nun zum Ergebnis kommen, dass Kelsen einfach vor den Tatsachen kapitulieren musste: Demokratie ist diejenige Staatsform, die sich am wenigsten gegen ihre Gegner wehrt. Es scheint ihr tragisches Schicksal zu sein, daß sie auch ihren ärgsten Feind an ihrer eigenen Brust nähren muß.“ Und manchmal lässt man sie auch im Bundestag sprechen. Man sollte rechtzeitig mit der Lektüre von Hans Kelsen beginnen.

*

Das war ein wenig böse. Freundlich gewendet hört man, wenn man den Papst reden hört, immer noch den jungen Studenten, der ein großer Philosoph werden wollte. Der das Hin und Her der Argumente liebte und sich immer den stärksten Gegner ausgesucht hat. Der aber die Wahrheit siegen sehen möchte. Davon träumt, das letzte Wort zu behalten. Ein wenig eitel vielleicht. Leider ist dieser junge Mann nie erwachsen geworden. Dann hätte er gelernt, mit seinen eigenen Irrtümern zu leben, sich über die Wahrheiten der anderen zu wundern und vor allem Dingen auszuhalten, dass hinter jeder endgültigen Antwort eine neue Frage wartet. Er hätte akzeptiert, dass die Freiheit des Menschen nicht eingehegt werden kann. Unsere Fundamente sind immer nur vorläufig. Jetzt hat der junge Mann endlich das letzte Wort, aber keiner hört ihm mehr zu. Alle beten ihn nur an.

2 Kommentare:

  1. So böse ist es doch gar nicht, ich empfinde es als notwendige sachliche Ergänzung und Hintergrundinformation, und der letzte Abschnitt hat sogar etwas "Gütiges", weil hier der Mensch Papst betrachtet wird in seiner naturgegebenen Fehlbarkeit.
    Davon wünschte ich mir mehr: Das Herunterholen vom durch nichts zu begründenen Podest des Heiligen auf die Ebene des Menschen in all seiner Begrenzung und Anfechtbarkeit, dem derselbe Respekt und dieselbe Nachsicht gebühren wie jedem anderen Angehörigen dieser Spezies. Womit ich weder Schonung vor Kritik noch Rechtfertigung noch Entschuldigung noch Entbindung von Verantwortung meine!
    Mir helfen Artikel wie dieser, mein eigenes inneres Brodeln auf ein erträglicheres, sachlicheres Maß abzukühlen.

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  2. Genau so geht es mir auch, liebe Iris. Ich bin Morel sehr dankbar für diesen Text, der meiner Empörung über den Quatsch, den Jakob Augstein im "Freitag" geschrieben hat, Ausdruck verleiht. Diese Verteidigung des Relativismus gegen seine fundamentalistischen Feinde ist gerade in Deutschland bitter nötig. Immer wieder, offensichtlich.

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