Sonntag, 25. März 2012

ANDRÉ (oder: "Der Mann, der alles richtig macht")


Über Ronald Zehrfelds "Andre" in Christan Petzolds Film "Barbara"

Fast alle sind sich einig, dass „Barbara“ ein guter Film ist. Man lobt den „strengen, konzentrierten Kunstraum“, den die Bilder schaffen, die „bewunderswerte“ Ökonomie der Erzählung, die „gewaltige Oberflächenspannung“ und das "grandiose Sound-Design". Christian Petzolds Film über eine junge Ärztin, die in der DDR der 80er Jahre an die Ostsee strafversetzt wird, weil sie einen Ausreiseantrag gestellt hat, erhielt bei der Berlinale den Silbernen Bären. Es geht in diesem Film aber weniger um eine „historische Aufarbeitung“ des DDR-Regimes, als um Fragen, die überzeitliche Gültigkeit haben: In welchem Spannungsfeld Freiheit und Verantwortung zueinander stehen? Ob Liebe nur möglich ist, wenn man Vertrauen als Geschenk ohne Versicherung einsetzt? Wie das Glück sich zu seiner Gefährdung verhält?

Ich habe diesen lobenden Rezensionen kaum etwas hinzufügen. Es ist der fünfte Film, den Christian Petzold mit der schönen und starken Nina Hoss gedreht hat und wenn manche meinen, das sei „meisterliche Stagnation“, dann mag das sein, aber ich freue mich ohne Zögern auf einen sechsten Film mit Hoss vor und Petzold hinter der Kamera, wenn er wie dieser so klar und zart Liebesfähigkeit und Leidenschaft zeigt, die sich unter der Anspannung verbergen, mit der die Verletzlichkeit der Beschädigten getarnt werden muss. 

Ich werde hier keine weitere Eloge auf die Hoss schreiben, sondern über Ronald Zehrfeld, den Henryk Goldberg als „fast zu attraktiv“ für die Rolle des jungen Chefarztes André beschreibt.





Ronald Zehrfeld als „André“ wirkt in diesem Film enorm anziehend auf eine weibliche Betrachterin, das stimmt. Zehrfeld gibt „André“ eine Anziehungskraft, die gleichermaßen körperlich wie emotional ist; man möchte diesen Mann berühren und sich von ihm berühren lassen. Weniger als Hoss ist Zehrfeld ein Model-Typ; dafür ist er vielleicht - nach derzeitigen Geschmackskriterien - ein wenig zu kräftig. Doch in der Rolle, die er spielt, macht er als heterosexueller, liebender Mann alles richtig. Er ist präsent, in jeder Einstellung, die ihn mit der Frau zeigt, die ihn interessiert. Er nähert sich ihr nicht unbeholfen und nicht überrumpelnd, sondern setzt seine Körperlichkeit ein, um ihr Nähe als Möglichkeit anzudeuten. Immer hält er einen gewissen Abstand, der ihr Spielraum lässt. In einer Szene lehnen sie neben einander an der Wand, seine Hand liegt dicht an ihrer. Er ist angespannt, man merkt, dass er sie berühren möchte, aufrütteln, Antwort von ihr verlangen, warum sie sich so versteift. Aber er wartet ab, er nimmt mit seinem Körper die Schwingungen auf. Er erspürt, dass sie nicht will, nicht wollen kann, dass sie die kalte Schulter braucht, um sich aufrecht zu halten. Er gibt nach, er sackt ein wenig in sich zusammen, er fordert eine Stellungnahme und weiß schon, dass sie ihn zurückweisen wird. Er verlässt den Platz an ihrer Seite, lehnt sich ihr gegenüber an die andere Wand. Sie weiß, dass sie ungerecht war und in seinem Gesicht zeigt sich die Verletzung, die er mit einem Lächeln nicht überspielt, sondern einholt.

Es ist dies traurige, nur angedeutete Lächeln Zehrfelds das die Anziehungskraft ausmacht: Wie er mit den vollen, sinnlichen Lippen die Mundwinkel nur ganz wenig nach oben zieht, und dabei die Augen offen hält für ihren Blick. Es ist wie es ist, es tut mir weh; du tust mir weh, sagt das, ich leugne das nicht, aber ich schlage auch nicht um mich, ich hoffe einfach weiter, auch wenn es wahrscheinlich nichts zu hoffen gibt. Als das Eis ein wenig gebrochen scheint, als sie zum Essen bei ihm bleiben will, sagt er, über das Messer gebeugt, mit dem er Gemüse schneidet: „Ich bin so froh, dass du da bist.“ Da küsst sie ihn, nur dieses einzige Mal, und reißt sich los, weg von ihm, denn sie kann nicht. Sie liebt ja einen anderen, für den sie schon alles geopfert hat, ihre Stellung an der Charité und ihre Freunde. Alles was ihr geblieben ist, ist die Haltung, die sie aufgeben müsste, um sich ihm hinzugeben.

Mit Ronald Zehrfelds „André“ wird der Film „Barbara“ auch ein Lehrfilm - oder er könnte es werden -  für Männer: Darüber, wie man eine Frau umwerben kann, die unerreichbar scheint und wie man alles richtig machen kann und es doch keine Garantie gibt, dass man sie kriegt. Er zeigt ihr deutlich, dass sie ihn interessiert; er lässt sich in die Karten gucken und macht sich angreifbar; er will ihr imponieren und helfen und nimmt sie ernst und bleibt trotzdem bei sich und deshalb attraktiv. Sie hört ihm zu, wenn er ihr vom „schönsten Platz der Welt“ erzählt, an den er sie mitnehmen möchte, ans Meer und ein Lächeln huscht über ihr Gesicht, aber dann sagt sie: „Ich kann das Meer nicht leiden.“

Am Ende zeigt sich, dass die Sehnsucht groß sein kann, aber die Liebe nur eine Chance hat, zum Glück zu werden, wenn es Ziele und Aufgaben gibt und man den anderen stehen lassen kann, weil man frei und bei sich bleibt. Der größte Fehler des West-Mannes, zu dem sie über die Ostsee fliehen will, ist es, dass er Barbara diese bürgerliche Idylle verspricht: „Ich verdiene genug für uns beide. Du musst nie wieder arbeiten.“

2 Kommentare:

  1. schön beschrieben. am ende glaub ich allerdings hat etwas anderes über die sehnsucht gesiegt. vielleicht hat sie in der person der stella, auch ein wenig sich selber gesehen und vielleicht wollte sie sich selber beide optionen gönnen. die eine, ein neues leben in einer freiheitlichen welt anzufangen, ganz jung, ganz von vorn und die andere, als frau in den besten jahren vom leben geprägt, am leben gezweifelt und trotzdem daran gewachsen nicht gebrochen nicht zerbrochen....weitergegangen.

    das ist doch eine schöne idee, in gewisser weise kann sie wenigstens gedanklich, an der freiheit der jüngeren teilhaben und den platz in ihrer alten welt anders ausfüllen.

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  2. Darüber habe ich so noch gar nicht nachgedacht. Das kann sein.

    Ich dachte auch bei der Sehnsucht gar nicht an die ihre, sondern an Andrés Sehnsucht nach ihr. Dass sie bleibt, ist eben nicht sein "Verdienst" und nicht mal seine Liebe, sondern - diese andere Geschichte mit Stella. Und im Grunde weiß er das. Sie wissen das beide: Er liebt sie und wahrscheinlich liebt sie ihn auch, aber dennoch wäre sie vielleicht gegangen. Nur dass sie loslassen kann (den Anderen und das Leben, das er bietet), liegt vielleicht ein wenig auch daran, dass der West-Mann sich - so wie wir ihn im Film kennenlernen - nie so für sie interessiert und um sie wirbt wie André. (Zum Beispiel die Geschenke: André schenkt ihr das Buch mit der Turgenjew-Geschichte, der West-Mann schenkt ihr Zigaretten, Nylon-Strümpfe und Kaffee).

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