Sonntag, 6. Januar 2013

A DANCE TO THE MUSIC OF TIME (Teil 6) lesen: Casanova´s Chinese Restaurant


Ein Beitrag von MOREL

It is a truth universally acknowledged that a single man in possession of a good fortune must be in want of a wife.

In Casanova's Chinese Restaurant, dem fünften Band von Powells Romanzyklus A Dance to the Music of Time, geht es um die Institution der Ehe. Allerdings erfahren wir aufgrund der sehr eigenen Erzählweise Powells nur wenig über diejenige des Erzählers Nick, der sich hingegen als aufmerksamer, fast schon voyeuristischer Beobachter der Beziehungen seiner mehr oder weniger engen Freunde und Bekannten zeigt. Gerade weil der Erzähler bei Powell nicht neutral ist, sind seine Beobachtungen relevant: er kann von sich auf andere schließen. Dass der Titel des fünften Bands unter dem Zeichen des großen Verführers und Ehebrechers Casanova steht, ist nicht nur Ironie. Die Zeit, seit Jane Austen ihren berühmten ersten Satz niederschrieb, ist unter anderem auch über die allgemein anerkannte Wahrheit des Zwangs zur Ehe hinweg gegangen. Die größere Freiheit aber schafft ihre eigenen Probleme. In dem erwähnten Restaurant - ein frühes Beispiel der Fusionsküche, entstanden aus dem Zusammenschluss eines Italieners mit einem chinesischen Lokal - entspinnt sich eine Diskussion zwischen den männlichen Protagonisten dieses Romans über den Unterschied zwischen Casanova und Don Juan. Dabei sucht Casanova, so ein Schluss, die Sinnlichkeit der Liebe (die nicht allein zu haben sei), während Don Juan die Macht über das eroberte Objekt seiner Begierde genieße. Das Modell, dem mit Ausnahme des dafür bekannten Malers Barnby, eher erfolglos nachgestrebt wird, ist die Verführungskunst Casanovas, der Gelegenheiten wittert, die sich  den eher musikalisch ausgerichteten Protagonisten aber immer erst im Nachhinein erschließen. Die Musik als Zeitkunst steht hier in einer gewissen Spannung mit einer im Roman eine Nebenrolle spielenden Skulptur Berninis – „Truth unveiled by Time“ (die wir vor anderthalb Jahren in der Villa Borghese in Rom gesehen haben). Berninis Wahrheit ist eine nackte Frau, den Fuss auf der Erde, in der Hand die Sonne. Dass die in Berninis Fragment gebliebener Skulptur fehlende Zeit erst die Wahrheit enthüllt, macht in der Anwendung auf die Ehe diese zu einem Spiel mit dem Schicksal, das es nicht mit allen so gut meint wie mit dem Erzähler Nick. Anstelle der sprichwörtlichen Weisheit aus Austens Klassiker - die ihren gewitzten Heldinnen den Spielraum dafür öffnet, Schicksal zu spielen, während Männer in ihrer Dummheit glauben zu wählen - herrscht der graue Morgen nach der Hochzeitsnacht: besser einer schlechte Ehe als gar keine, wie eine Figur, im Sinne des Erhalts gesellschaftlicher Institutionen meint.

Das Spektrum der Ehen in Casanova's Chinese Restaurant ist bunt. Während die Abdankung des englischen Königs wegen seiner Beziehung zur zweimal geschiedenen Amerikanerin Wallis Simpson für Gesprächsstoff sorgte bleiben die inneren Beweggründe der Protagonisten meist im Hintergrund. Die Ehe von Nick und Isobel gerät, wie schon erwähnt kaum, in den Blick. Wir dürfen sie uns, trotz einer Fehlgeburt, die für den über sein Privatleben meist schweigenden Erzähler kaum der Rede wert ist, als glückliche vorstellen - das zumindest legen die wenigen Wortwechsel des Paars in Gesellschaft nahe, die es als vertraute Einheit mit gleichen Interessen zeigen. Eine englische Liebe in einem kühlen Klima. Anders steht es um die Ehe des Komponisten Moreland mit der Schauspielerin Matilda Wilson. Hier treffen zwei eher unterschiedliche Charaktere aufeinander. Der schüchterne, an sich selbst zweifelne Moreland, suchte eine Gefährtin, die ihm auch künstlerisch ein Gegenüber sein kann. In der erfahrenen Matilda einer erfolgreichen Schauspielerin und ehemaligen Geliebten des Finanzmagnaten Donners traf er sein Ideal, ohne aber seine Skepsis gegenüber der Institution Ehe ganz ablegen zu können. Imponiert ihm an Casanova und seinem Nachfolger Barnby die Fähigkeit, im Moment zu leben, ohne sich über die Wiederholungen zu langweilen, sucht er die Wahrheit eines Glücks, das erst wie in einer Symphonie durch die Zeit enthüllt wird. Das macht ihn anfällig für Versuchungen, denen er zumindest zeitweise unter den missbilligenden Blicken der Gesellschaft mit einer Schwester Isobels nachgibt. In dieser Ehe, anders als bei Isobel und Nick, führt eine Fehlgeburt zur Krise - als sei es nicht nur eine Laune der Natur sondern eine tiefere Wahrheit, die sich in diesem Unglück enthülle. Am unglücklichsten aber ist die bewusst kinderlose Ehe des Musikkritikers Maclinticks. Er ein Musikkritiker, der schon seit Jahren an seinem großen Werk schreibt und Moreland nicht nur ästhetisch bewundert, sondern vermutlich auch entgegen seiner ostentativ ausgestellten Homophobie begehrt. Verheiratet ist er mit der (verständlicherweise) höhnischen und sarkastischen Mrs. Maclintick (keine Vornamen in diesem Romansektor). Eine Einladung bei den Maclinticks ist ein Besuch in einer auf Kühlschranktemperatur gehaltenen Vorhölle, die aber erst dann richtig ausbricht, als die Frau des Hauses mit dem Untermieter durchbrennt. Wenige Tage später öffnet Maclintick den Gashahn. Ein Ereignis, das eine Anekdote Casanovas aus dem ersten Kapitel des Buchs in Erinnerung ruft. Der italienische Abenteurer hört in London auf der Straße ein kurzes Gespräch über einen gewissen Tommy, der sich, so meint jemand, zum genau richtigen Zeitpunkt umgebracht habe. Im Gegenteil antwortet jemand anders, als sein Gläubiger wisse er genau, dass er noch sechs Monate Zeit bis zum Bankrott gehabt hätte. Die Zeit als Kern der Wahrheit und die Zeit als Lebensfrist zwischen diesen Polen (die für den Humoristen Powell nicht zusammenfallen) bewegt sich der Roman. Trotz hochkomischer Szenen - insbesondere der Begegnung des dekadenten Alkoholikers Charles Stringham mit der von ihm bezirzten Mrs. Maclintick - überwiegen in Casanova's Chinese Restaurant die Molltöne. 


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