Samstag, 29. Juni 2013

FITTICHE ("Sie sollten wachsen.") (Entwurf)

Ff. aus der Serie "Fabelwesen"

Ganz zu Anfang hatte sie ihn einmal gefragt, wie sie erwählt wurden. Seine undurchdringlichen schwarzen Augen hatten sich auf sie gerichtet und für einen winzigen Moment hatte sie geglaubt, er lächele. Doch war das ja gänzlich unmöglich. "Erwählt." Er wiederholte das Wort genüsslich, ließ es zergehen auf seiner Zunge wie einen köstlichen Happen. Sie spürte, wie allein der Gedanke, den sie ihm zum Frass vorgeworfen hatte, sie zur Beute machte und sie zitterte erneut, jedoch blieb dieses Schaudern nicht ohne einen Nachhall von Wohligkeit. Etwas in ihr wünschte sich schon so lange, sich diesem Willen zu unterwerfen, den er nur repräsentierte. "Wir erwählen euch nicht. Eure Sehnsucht findet uns." 

"Ach, ach", schrie sie lautlos, "ach, ach, nimm mich unter deine Fittiche!"
Die Flügelspitzen strichen über ihren bebenden Körper hinweg. 
"Reiß mich!"
Sie krümmte sich zu einer leichten Fracht, die er ohne Weiteres in die Lüfte heben konnte. Er trug sie wie die Greifen einst Hagen in ein sicheres Nest. 
"Friss mich!"
Seine Küsse wie Hiebe zerhackten ihre Visage. 
Sie duckte sich unter seine Flügel und schmiegte sich an seine Schenkel.
"Werden wir einmal Junge haben?"

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Ihre Träume waren grausam. Sie wünschte sie zu vergessen. Nur dieses eine Wort behielt sie auch gegenüber dem Doktor für sich: FITTICHE. Sie sprach es niemals aus. Es lag immer auf ihrer Zunge. Aus ihrer Brust erhob sich ein Begehren gegen den, der sie zu heilen wünschte, das ohne Beispiel war. Sie hätte ihn verschlingen mögen in diesem Augenblick. Wie er sie ansah, erkannte sie, dass er sich ebenso sehr auf sie zu werfen wünschte, wie sie sie sich vor ihm niederwerfen wollte. 

Doch dann: Ihr Blick glitt in den Spalt, mit dem sich über seiner Brust der weiße Kittel öffnete. Das T-Shirt, das er darunter trug, war weit ausgeschnitten. Der junge Arzt war stolz auf seine wohltrainierten Oberkörper, auf dem sich die Muskelstränge abzeichneten, als wolle er es mit seinem oben rum entblößten Abbild auf eine Bier-Grapefruit-Werbetafel schaffen. Sie bebte. 

Vor Ekel. Dunkle Haarstoppeln stießen aus der bleichen Haut hervor. Diese gerupfte Hühnerbrust erstickte jede Erotik im Keim. Sie musste kichern: "Wachsen." Er beugte sich interessiert vor. Sie hatte ihr Schweigen gebrochen. "Wachsen." Er notierte das Wort auf seinem Block. Ein Fortschritt. "Sie sollten ihre Brusthaare wachsen, nicht zupfen, Herr Doktor." Er hob irritiert die Augenbrauen. Er brauchte einige Sekunden, bis er verstand, dass sie von ihm sprach. Seine Finger fuhren unwillkürlich über die stoppeligen Reste an seinem Ausschnitt. Er errötete. Sie lehnte sich zurück, völlig entspannt jetzt. "Es macht nichts. Frauen meiner Generation stehen ohnehin mehr auf tierische Brustbehaarung. Sie könnten sich ein Toupet zulegen." 

Er beendete das Gespräch abrupt. Sie kamen einfach nicht weiter. Sie wurde von Schwester Hanna auf ihr Zimmer gebracht. 

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So hoch oben ziehen sie ihre Kreise, dass sie sie mit bloßem Auge nicht einmal mehr als Punkte erkennen kann. "Unter deine Fittiche", wimmert sie und krümmt sich auf dem Laken. 


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