Sonntag, 16. Juni 2013

THE LAST TORY (Ford Madox Fords "Parade´s End")

“Upon my soul!' Tietjens said to himself, 'that girl down there is the only intelligent living soul I've met for years.' ... positively, she and Sylvia were the only two human beings he had met for years whom he could respect: the one for sheer efficiency in killing; the other for having the constructive desire and knowing how set about it. Kill or cure! The two functions of man. If you wanted something killed you'd go to Sylvia Tietjens in sure faith that she would kill it: emotion, hope, ideal; kill it quick and sure. If you wanted something kept alive you'd go to Valentine: she's find something to do for it. . . . The two types of mind: remorseless enemy, sure screen, dagger ... sheath!
Perhaps the future of the world then was to women? Why not? He hadn't in years met a man that he hadn't to talk down to - as you talk down to a child...”

Ford Madox Ford: Parade´s End




Was mich aber antreibt, heute schon wieder zu bloggen, ist die im Nachhinein noch wachsende Unzufriedenheit mit BBCs "Parade´s End"-Verfilmung im Kontrast zur erneuerten Freude beim Wiederlesen von Ford Madox Fords Meisterwerk. Das Drehbuch von Tom Stoppard ist gut; die Schauspieler, allen voran Benedict Cumberbatch und Rebecca Hall, sind großartig. Dennoch: Ich erkenne Fords Tietjens  keine Sekunde in der Figur, die Cumberbatch spielt. Es gelingt ihm wohl, das zartbesaitete Innere dieses verschlossenen Mannes sichtbar zu machen, allein es fehlt ihm der Körper dazu, durch den der Gegensatz zwischen innerer Fragilität und äußerer, raumfüllender Erscheinung erst sich zur Tragik steigert. In Ford Madox Fords Roman wird Tietjen immer wieder als "maddend horse", als "swollen animal", als "mad bullock", "lonely buffalo", als "dejected bulldog" beschrieben. Selbst Valentine, der jungen Frau, die ihn vom ersten Augenblick an als "last Tory" liebt, erscheint er als ein "fat golfing idiot". Tietjens, wie Ford Madox Ford ihn auftreten lässt, wirkt auf ausnahmslos alle, die ihn treffen, stumpf, breit, ungelenk. Cumberbatch hat einfach den Körper nicht, um diesen Gegensatz zwischen Tietjens Empfindlichkeit und Empfindsamkeit und seinem unempfindlich wirkendenden Äußeren darzustellen. In anderen Worten: Cumberbatch ist zu attrativ, um Tietjens zu sein.

Ford Madox Fords Tietjens ist ein genialer Dilettant, der sich dem bürgerlichen Männlichkeitsideal von Beruf oder Berufung verweigert. Der begabte Mathematiker mit dem untrüglichen Gedächtnis geht einer Berufstätigkeit als Statistiker nach, die er so wenig ernst nimmt, wie er sich später als Soldat, der von seinem Sold lebt, auf das Sinnstiftungsgeschwätz der britischen Patrioten einlässt. Tietjens vertritt ein Männlichkeitsideal, das sich nicht auf ein Berufsethos gründet, sondern noch auf das des Gentleman alter Prägung, der ein Mann ist, weil er Verantwortung für andere übernimmt und sich der einmal übernommenen Verantwortung auch nicht entledigt, wenn es opportun erscheint. So ein Mann sorgt für die Frau, die er geheiratet hat, auch wenn er nicht wissen kann, ob das Kind, das sie gebiert, von ihm ist. Er kümmert sich um seine Freunde und wenn er ihnen mit Geld aushilft, dann handelt es sich um "fiktive Darlehen", auf deren Rückzahlung er nicht rechnet, geschweige denn auf Zinsen. 

Tietjens ist ein abstoßender Heiliger, der alles vergibt und alle Schuld auf sich nimmt. Dafür hasst ihn seine Frau Silvia, die Katholikin, dafür liebt ihn Valentine, die hysterische Suffragette. Dabei ist bei Ford Madox Ford immer deutlich erkennbar, dass jenes Ideal des Gentleman, das Tietjens verkörpert und für dessen Erhalt er die Lasten und Erniedrigungen eines modernen Hiobs auf sich nimmt, sich auf keine Vergangenheit beruft, die einmal Wirklichkeit war, sondern allein auf seine (und des Autors?) Wunschvorstellung von dem, was ein Gentleman einmal gewesen sein könnte: eine gigantische Projektion. Tietjens, der von sich sagt: "I stand for monogamy and chastity. And for no talking about it.", ist der Sohn eines landbesitzenden Adligen, der seine Frau über Jahrzehnte mit einer anderen betrog. Was Tietjens sich abverlangt, ist nicht Tradition, sondern Wahrhaftigkeit: Er nimmt den Schein, mit dem sich der Gentleman alter Schule umgibt, um hinter guten Manieren und geistreichem Gerede sein scheinheiliges Leben zu führen, als Wahrheit. So lassen denn Tietjens Manieren immer zu wünschen übrig und seine Unterhaltungswert ist mehr als dürftig. Tietjens ist ein Mann, der vielen als irre oder widerwärtig, als durchtrieben oder unsittlich erscheint, den Gerüchte umgeben und gegen den böse Intrigen gesponnen werden, während er unerbittlich gegen sich und andere seinem inneren Kompass der Wahrhaftigkeit, Verlässlichkeit, Treue folgt. Als Sylvia, die mit einem anderen Mann durchgebrannt ist, ihn schriftlich bittet, sie zurückkommen zu lassen, reagiert er so: "He wouldn´t write a letter because he couldn´t  without beginning it 'Dear Sylvia' and ending it 'Yours sincerely' or 'truly' or 'affectionately.' He's that sort of precise imbecile. I tell you he's so formal he can't do without all the conventions there are and so truthful he can't use half of them.” Er schickt ein Telegramm: "Agreed." Ohne Anrede oder Grussformel. Präzise. Unbestechlich. Wahrhaftig. Darin ist er maßlos, rücksichtslos und verabscheuenswürdig. 

Ford Madox Ford zerlegt in dieser Roman-Tetralogie auch das paradoxe Berufsethos des männlichen Schriftstellers des 19. Jahrhunderts, der sich häufig über Weiblichkeit und in weiblichen Figuren gegen die Zurichtung auf eine bloß der Nützlichkeit, dem beruflichen Erfolg verpflichtete Welt erhebt. Notwendig muss in solcherlei fiktiven Geschichten, in denen ein männliches Schriftsteller-Ego sich über eine durch die männliche Ordnung vernichtete weibliche Figur ausdrückt, die Frau am Ende zu Tode gebracht werden, damit aus ihrem Leichnam das literarischer Werk geboren werden kann, als dessen Erzeuger und Gebärer sich der ("professionelle") Literat imaginiert. In diesen Romanen des 19. Jahrhunderts (Effi, Anna, Emma...and so and so and so on. Das habe ich alles schon tausend mal wieder und wieder gelesen...) werden die weiblichen Figuren dadurch definiert, ob und wie sie einen Mann oder Männer lieben oder nicht lieben können. Wer sie sind, was sie sein können, wie sie sich selbst begreifen: Alles, alles, alles hängt von "der Liebe" ab, der Liebe zum Manne, wohlgemerkt :-). Diese "Liebe" der Frau zu Manne selbst ist der Widerstand gegen die vom schreibenden Autor als falsch empfundene und dargestellte männlich dominierte Kriegs-, Wirtschafts- und Warenwelt. Das ist raffiniert konstruiert und trägt manches Mal weit, denn in jener Welt und aus jenem Blickwinkel ist die Frau selbst Kriegsbeute und Ware zugleich. An ihr und über sie kann also verhandelt werden, was den Mann zernichtet, ohne dass er sich selbst (d.h. sein literarisches Alter Ego) zu opfern hätte. 

Sylvia Tietjens ist eine solche Frau, Kriegstrophäe und Edelware, auf dem Höhepunkt ihrer Künste. Sie lebt dafür, Männer zu "machen" und zu vernichten. In einer Welt, in der Frauen nicht nur materiell, sondern auch in ihrem Status total von Männern abhängig sind, setzt sie allen Ehrgeiz darein, Männer von sich abhängig zu machen. Sylvia Tietjens müsste zu Tode gebracht werden auf dem Altar der Liebe, der sie  doch noch verfällt, der Liebe zum "letzten Gentleman" (der auch mein "Traum"-Mann ist).. Aber so ist es nicht. Nicht bei Ford Madox Ford. Denn was Tietjens und der Autor Ford Sylvia "antun", ist, dass sie es ihr verweigern, sie bloß als "Frau", als Trophäe und Einsatz, zu sehen. Tietjens verzeiht Sylvia alle Demütigungen, die sie ihm mit anderen Männern zufügt, weil er sie als einen Menschen sieht, der ums Überleben kämpft, nicht als "die Frau", die ihm gehört  oder sich ihm entzieht. Das ist der Affront, den Sylvia nicht erträgt, die sich selber nicht anders sehen kann, denn als Objekt männlicher Begierden und die Tietjens Verweigerung, sie darauf zu reduzieren, als Kränkung erfährt. Erst als sie ihn an einer anderen Stelle verletzt, als sie das Kind in Tietjens kränkt und den Baum von Groby fällen lässt, fühlt er sich frei und kann sich von ihr lösen. 

Tietjens liebt Valentine, die nervöse Suffragette, aber auch sie nimmt er nicht allein als Verkörperung der "Weiblichkeit" und Objekt des Begehrens wahr, sondern als einen Menschen, dessen Innerstes er verstehen, den er erreichen will: “You seduced a young woman in order to be able to finish your talks with her. You could not do that without living with her. You could not live with her without seducing her; but that was the by-product. The point is that you can't otherwise talk. You can't finish talks at street corners; in museums; even in drawing-rooms. You mayn't be in the mood when she is in the mood - for the intimate conversation that means the final communion of your souls. You have to wait together - for a week, for a year, for a lifetime, before the final intimate conversation may be attained...and exhausted. So that...That in effect was love.” Und wie Tietjens so auch sein Autor: In der Schule, in der Valentine Wannop als Sportlehrerin arbeitet, versuchen die jungen Mädchen, ihre Sexualität und ihr Begehren zu ergründen, aber ihre Wissbegierde richtet sich nicht darauf, einem Mann zu gefallen, sondern ihre eigene Lust zu befriedigen. Was Frauen sind oder sein können, für Tietjens, für Ford Madox Ford, ist etwas anderes und mehr, als das, was sie für einen Mann oder einen männlichen Autor sind. Und eben daran entzündet sich das Interesse - von Autor und Figur. 

"Parade´s End" wird von vielen auch für das bedeutendste literarische Werk über die Schrecken des ersten Weltkrieges gehalten. Mir hat die Re-Lektüre gerade auch der Passagen, in denen Ford Madox Ford seinen "Helden" in den Schützengräben beschreibt, noch einmal sehr deutlich gemacht, warum ich Jüngersche "Stahlgewitter" (u.ä.) als albern empfinde und das mit ihnen verbundene Männlichkeitskonzept zutiefst verachte. (Verachtung indes ist immer eine Haltung, die entstellt und deshalb ist das Verachtenswerte zu meiden.

Ford Madox Fords Christopher Tietjens ist eine Wunsch-Projektion, das Bild eines Mannes, wie er sein könnte und sein sollte, aber nicht sein kann; eine Figur, deren Leiden, deren Erniedrigung, deren Missverständnisse unvermeidlich erscheinen und die sich dennoch wider besseres Wissen dagegen stemmt, ein "moderner" Mensch zu werden, d.h. einer, der für die eigene Verantwortungslosigkeit stets ein passendes ideologisches Konzept, eine Welterklärungstheorie parat hat oder ein Autor, dem die Zernichtung von Identität und Beziehung ein grandioses, literaturtheoretisch-ästhetisches Kulturuntergangs(mani)fest wird.

Sylvia stirbt nicht. Sie angelt sich einen General und wird vielleicht Vize-Köngin von Indien. Oder auch nicht. Tietjens wird geliebt. Von Valentine. Von seinen Freunden. Er bleibt ein Bulle. Ungelenk. Unsicher. Empfindlich. Das wird nicht gut gehen. Das ist ein Happy End. Wohin: "She was setting out on..." ???

Ford Madox Ford ist noch immer ein unter Wert gehandelter Autor. Ich schreibe das bewusst am Bloomsday. Für mich ist Ford´s Tetralogy lesenswerter gewesen als Joyce´s "Ulysses".

Lesen Sie: Ford Madox Ford: Parade´s End.

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