Freitag, 26. Juli 2013

A DANCE TO THE MUSIC OF TIMES lesen (7)


Ein Beitrag von Morel


I'm closer to the Golden Dawn
Immersed in Crowley's Uniform

David Bowie, Quicksand


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Die Dämmerung ist allein schon deshalb zwielichtig, weil nie ganz klar ist, ob sie Anfang oder Ende ist. Der von den Rolling Stones und David Bowie besungene Aleister Crowley bereitete eine neue Ära vor - ohne organisierte Religion, aber mit Magie, Drogen und Sex zur Weiterentwicklung des Selbst. In Anthony Powells sechstem Teil seines Romanzyklus A Dance to the Music of Times ist Crowley, den Boulevardpresse und Sektenbeauftragte schon zu Lebzeiten erfolgreich dämonisieren konnten, nur eine komische Nebenfigur (er heißt Dr. Trelawney und wandert mit diesem Namen in harmloserer und weiblicher Form in die Harry-Potter-Romane aus). Er verweist aber allegorisch auf den Untergang einer Zeit -der Umschlag von der Reformierung des Lebens in seine Deformierung. Dass Powells Roman den gleichen Titel trägt wie Jonathan Littells Nazi-Sex-Schocker The Kindly Ones (Die Wohlgesinnten) und auch auf die Eumeniden anspielt (ein anderer Name für die rächenden Furien), ist vielleicht mehr als Zufall. Denn der in England viel  gelesene Romancier handelt in seinem letzten Sommer-Band gleich doppelt von den letzten Tagen vor dem Krieg, einmal im Jahr 1914 und dann von 1938/39. Die bevorstehenden Grauen werden aber beide Male nicht direkt wiedergegeben - nur ihre ersten Anzeichen zeichnet der Romancier in den hypochondrischen und überempfindlichen Bewusstseinszuständen seiner Protagonisten nach.

Wie immer lässt sich die Handlung schnell zusammenfassen, weil es weniger Ereignisse sind, die dieses Romanwerk prägen, als Bilder und Korrespondenzen. Zu Beginn erinnert sich der Erzähler Nick Jenkins an den Juni 1914, die Tage rund um das Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand, das den Ersten Weltkrieg auslösen sollte. Der uns schon bekannte General Conyers kommt zu Besuch bei der Familie, ebenso wie der sich chronisch verspekulierende Onkel Giles. Themen sind Geister und Suffragetten und beinahe am Rande der Aufmerksamkeit das Attentat auf dem Balkan. Liebesverwicklungen unter den Dienstboten eskalieren so, dass ein Dienstmädchen nach einem Nervenzusammenbruch nackt die Gäste im Esszimmer schockiert (bis auf den General, der sich als Mann der Tat erweist und sie in ihr Zimmer führt). Ein Zeitsprung in das Jahr 1938. Kaum jemand glaubt, das Münchener Abkommen könne den nächsten Krieg aufhalten - immerhin schenkt es ein wenig Zeit zur Vorbereitung. Zusammen mit dem Komponisten Moreland und seiner Frau besuchen die Jenkins den Finanzmagnaten Sir Magnus Donners auf seinem Landsitz. Peter Templer, der alte Schulfreund von Nick, holt beide Paare in seinem Auto ab. In Donners Domizil warten Templers neue Frau Betty und Anne Umfraville, die neue Geliebte von Sir Magnus. Nach dem Abendessen kommt die Idee auf, Fotografien zu machen. Als lebende Bilder werden die sieben Todsünden dargestellt - während alle die von Donners verteilten Rollen mit gutem Humor vor der Kamera des Machtmenschen aufführen, erleidet Betty nach Peters erfahrungsgesättigter Darstellung der Lüsternheit einen Nervenzusammenbruch. Der Abend endet mit dem Auftritt des ewigen Karrieristen Widmerpool in Uniform - hier rüstet sich schon jemand für neue Aufgaben. Das nächste Kapitel führt uns in den Sommer 1939. Nick muss in einem Hotel an der Küste den Nachlass seines dort verstorbenen Onkels regeln. Dort trifft er den Mann von Anne, den unsympathischen Geldjongleur Dick, der ihn auch noch mit Enthüllungen über seine alte Liebe Jean Templer irritiert. Im Hotel hat sich der inzwischen als Magier und Sektenführer zu zweifelhafter Berühmtheit gelangte Dr. Trelawney im Badezimmer eingeschlossen (aus dem er sich anders als aus seinem irdischen Körper nicht befreien kann). Mit Hilfe des Mottos der okkulten Bewegung - "The Vision of Visions heals the Blindness of Sight" -, an das sich Nick aus der Kindheit erinnert, gelingt es den verwirrten Sektenführer zu beruhigen, so dass er die Tür wieder öffnen kann. Den Rest dieser Romanfolge verbringt Nick mit dem Versuch, in die Armee aufgenommen zu werden, da er angesichts des drohenden Krieges keine Zukunft im Schreiben von Romanen und Literaturkritiken sieht. Widmerpool ist hier, wie erwartet, keine Hilfe. Die einzige Gefühlsregung zeigt er, als sie Gypsy Jones gegen den Krieg agitierend auf der Straße begegnen. Die Panik, die ihn bei ihrem Anblick befällt (nach einer Affäre hat er ihr vor einigen Jahren die Abtreibung bezahlt), erklärt er mit der Angst, dass Geheimagenten beobachten könnten, wie sie ihn wieder erkennt. Den Weg zum Militär (das den dritten Teil des Zyklus prägen wird) öffnet Nick dann eine Zufallsbegegnung im Hause von Tante Molly.

Die Furien die in The Kindly Ones das Romanpersonal plagen meinen es in der Regel tatsächlich nur gut. Es sind militante Reformbewegungen wie die Suffragetten, vor denen sich der Koch Albert zu Beginn des Romans fürchtet. Die das Dienstmädchen Billson heimsuchenden Geister sind eher harmloser Natur und werden allgemein als traditioneller Bestandteil des englischen Landlebens akzeptiert. Während etwas Neues sich bemerkbar macht, spukt das Alte eben noch immer auf dem Dachboden. Aber oberflächlich bleibt alles ruhig. Zweimal öffnet sich der Boden unter dem Beziehungsnetz, das die Romanfiguren verbindet, absichert und auch einschränkt. Als Billson die Liebe auf den Koch aufgeben muss, kommt es zu ihrem skandalösen Nacktauftritt im Esszimmer, bei dem sie die Stellung kündigt: sie hat mit ihrer Uniform auch ihre Rolle verloren. Eine andere ist nicht in Sicht. Auch Bettys Zusammenbruch ist ein Fallen aus der Rolle. Dem Machtspiel Donners, das jede Überschreitung erlaubt, solange die Form gewahrt bleibt, verweigert sie sich ebenso wie der Komponist Moreland, der an diesem Abend seine Frau an den Unternehmer verliert. Die Verweigerung ist aber noch kein Neuanfang, sondern ein angstbesetzter Schritt in ein Nichts. Und natürlich gibt es zwei Kriege, die diese Zeit zu einer Zwischenkriegszeit machen und die verweigerte Veränderung erzwingen. Denn bis auf die exzentrischen Abenteurer wie dem Maler Deacons oder Onkel Giles fürchten sich beinahe alle Figuren Powells vor der Aufgabe ihrer Rollen - Nick sucht, nach dem die Kunst ihren Sinn verloren hat, den Zugang zum Militär; Dr. Trelawney verspricht Erkenntnisse über das eigene wahre Selbst, die allerletzte Rolle am Ende aller Zeiten (wenn man bereit ist sich seinem Willen zu unterwerfen); der Komponist Moreland ist am Ende des Romans vorübergehend sogar obdachlos. Die in dem absurden Motto Trelawneys versprochene Heilung bleibt aus - die Figuren sind trotz aller Vorahnungen für ihr Schicksal blind. Erst mit dem Tod, kommt es zu einer Art von Abschluss. "Knowledge comes with deaths release", sang David Bowie in seinem Aleister Crowley-Song Quicksand. In den nächsten Folgen werden andere Uniformen getragen als die von Dr. Trelawney propagierten.

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