Montag, 6. Juli 2015

Die Last der lauen Tage (oder: "I want you so much I could burst")


Wie tief er getaucht war, der dunkle Tom ("Your turn, my turn."). Ich dachte schon, ich könnte ihn nie wieder spüren: Um zu schreiben von dieser düsteren Liebe, die die Ehe beinahe sprengte und das kleine Glück am See zerstörte...:"He told me he could feel me. It made me feel myself again." All die Projektionen, die sie mit Liebe verwechselte: Anne/Armgard. Und in ihrem Schatten die Melusine, durch den See gleitend, dessen Oberfläche sich nur leise kräuselte. Es kräht kein Hahn danach, wenn es der das Herz zerreißt.

Was ich nicht leben kann, werde ich schreiben. Fing das so an? Wir hatten die Blicke vermieden, die uns entlarven könnten, einander vor allem. Was zum Schreiben führt, ist die Entsagung, das Versagen der Liebe. Das habe ich nie glauben wollen. Es muss doch auch vom Glück zu berichten sein. Aber jedes noch so eingebildete und herbei phantasierte Unglück wirkt glaubwürdiger. Ich kann mir das suggerieren. Als Ausflucht bilde ich mir ein, dieses jubelnd-heulend-zitternd Herz sei meine eigene Erfindung. Wir Schreibenden leben den Wahn, die Herrinnen unserer Geschichten zu sein, bis wir ihnen erliegen. Ich schmiege mich nächtens in die Kissen und träume von ungeküssten Küssen. Ein neues Kapitel der Ehe-Saga entsteht zur Zeit, ein Selbstgespräch der Sünderin unter den Wolken, die sich im See spiegeln: "Sometimes I want you so much I could burst..." 

Seitenaufrufe im Counter, die mich zurückführen an die Anfänge des Bloggens: "Der Freund meiner Freund ist ein Filou." Das Gespräch im Kommentarstrang mit Cazou: Frauen, die sich in den Sänger vergucken, Frauen, die auf den Leadgitarristen stehen, Frauen, die dem Bassisten verfallen, Frauen, die dem Drummer schöne Augen machen. Muster des Verliebens, die keinen Sinn machen, aber Wellen schlagen. (Ich sollte es mal mit einer reinen Frauenband versuchen.) Oder: Können eigentlich auch Nicht-Narzissten verzücken? Der grobe Charme der Selbstverliebten, dem wir erliegen. Wieder und wieder und wieder. Mir hatte es immer schon der Solist angetan, der die Augen niederschlägt. Kein Blick ins Publikum. Selbstgefangen. Unbefangen. Unfangbar. 

Ich habe noch nie den Anfang gemacht. So altmodisch bin ich. Lasse ich Anne sein. Der dunkle Ritter muss sie überfallen: "Das aufgescheuchte Wild". Ich arbeite an der Perspektive. Seiner. Ein Mann, der weiß, dass die Frau, die er will, nicht erobert, sondern überwältigt werden will. Woher weiß er das? Die Art, wie sie ihn nicht ansieht. Das Flattern ihrer Hände auf halber Höhe. Die linke Schulter, wie sie verkrampft. Dass sie ihn immer sieht und immer ausweicht. Er scheint nur so selbstbewusst. So ist er noch nie vorgegangen. So planlos. So rabiat. So verzweifelt. "I want you so much I could burst..."

Während ich schreibe, haben die Griechen mit NEIN gegen die Austeritätspolitik gestimmt, ist Jannis Varoufakis, der erste gut aussehende Finanzminister Europas (eine Sänger-Rampensau, nicht mein Beuteschema, also), zurückgetreten, hört man seit Tagen nichts aus der Ukraine, wo weiter geschossen wird, verteidigt der nationalistische griechische Verteidigungsminister die griechischen Verteidigungsausgaben, wird in Berlin vom dicken Siggi das Erbe Willy Brandts oberdreist verscherbelt, machen sich alle angeblich Sorgen um Europa und taumeln doch mit schlafwandlerischer Sicherheit auf ein Verhängnis zu. Bilde ich mir ein. Denn vielleicht geht ja noch einmal alles gut, im Sinne der Gläubiger, was also heißt schlecht im Sinne der meisten Menschen. Aber die interessieren ja nicht. Die marktkonforme Demokratie bleibt vielleicht trotz oder deswegen in Form. Vielleicht drehen sie tatsächlich nur eine nächste Runde. Vielleicht rumpelt weiter alles dahin. Das dachten wir schon einmal. Dass es immer so weiter geht, mehr schlecht als recht, aber weiter. Im selben Trott, unaufhaltsam. Ich kann selbstverständlich den großen Kladderadatsch nicht wünschen. Wer Konsequenzen fordert, muss den Preis zahlen können. Wer von uns hat dazu den Mut? Die Griechen? Es macht mir auch Angst, wenn Begriffe wie Ehre und Stolz als Motive politischen Handelns auftauchen. 

Das heiße Begehren nach etwas anderem wird wie stets auf lau gestellt. Mehr lässt die Feigheit nicht zu. "Love, music, wine and revolution." Letzteres, wie immer, abgesagt. Pragmatism rules. Wir haben immer noch viel zu verlieren. Ich schreibe mich derweil (Eskapismus rules, too) weiter, zurück in den Herbst des Jahres 1989 hinein. Als nichts begann, bevor schon alles verloren war. Blaupausen: Treuhand revisited. Ein Land wird geplündert und verramscht, nicht immer an die Meistbietenden. Niemand muss für solche Verbrechen bezahlen, das haben wir gelernt: Beamte, Berater, Bestatter. Später gehen sie auf Vortragsreisen. Von Kriegen berichten immer die Sieger.

Und Wahrheiten, die sich keine gern eingesteht: "Die Dame badet lieber lauwarm."





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