Dienstag, 5. April 2016

HYGGELIG + UN-HYGGELIG. Heimisch unter kühlen Himmeln (Abschied von Kopenhagen)

Edvard Eriksen:
Kleine Meerjungfrau
Kopenhagen kann auch trist sein. Der Himmel statt graublau schwarzgrau sich verdüstern. Und es schüttet wie aus Gießkannen, zwischendrin hagelt´s, kurz vor der kleinen Meerjungfrau, die ziemlich weit draußen sitzt und bei deren Anblick fast alle rufen: "So klein ist die. Die hat ich mir aber größer vorgestellt." Sie ist tatsächlich kleiner als ich, ganz zierlich, aber figürlich offensichtlich ohne OP-Optimierung oder Nachbearbeitung mit Weichzeichner konzipiert. Die Ehefrau des Bildhauers Edvard Eriksen soll Modell gesessen haben. Das Bildnis ist semikitschig geraten, demonstrativ bescheiden, -> wenn das kein Widerspruch ist, sondern eben...dänisch.



Nordische Lichtmetaphorik. Kühle (Selbst-)Distanzierung. Die Scheu/der Abscheu vor jeder Form von Exaltation. Das ist (natürlich) ein Widerspruch. Denn: Du kannst nicht nicht repräsentieren. Konstituiert wird auch hier ein "Wir", das sich kenntlich machen will als..."offen, funktional, schlicht, echt". Dänisches Design. Wird überall in Kopenhagen ausgestellt. Die Entwürfe von Arne Jacobsen, Hans Wegner oder Børge Mogensen sind zeitlos schön präsent. Hier aber nicht, wie weiter südlich gegenwärtig Mode (statt modern) feige zu schwarz-grau-weißer Pseudo-Edel-Tristesse kombiniert (mutlos 5-Sterne-Hotel-Design von der Stange ohne persönliche Note kopierend), sondern mit farbenfrohen Accessoires verknüpft: Gemütlichkeit statt große Geste. Aber auch hier gilt natürlich: Du kannst nicht nicht repräsentieren. Ausgestellt wird: Lässigkeit. Auch das (selbstverständlich) ein (Selbst-) Widerspruch. 



Königliche Bibliothek ("Den Sorte Diamant"/Schwarzer Diamant)


Gründe, warum ich den Norden liebe. Die Kälte. Die Vermeidung des öffentlichen Eklats. Die Ferne Gottes, der bekanntlich in der Wüste haust und brennt. Das Zweifelhafte und Verbohrte. Nur unterdrückte Leidenschaft brodelt (auf Dauer). Die peinliche Wahrung des Scheins, der aber an ein Sein (Understatement! Selbstverständlich! Kreditkarte gedeckt!) gebunden sein sollte. Rote Backsteine. Bloß kein lautes Palaver auf dem Gehweg. Unvermeidlich sind es südeuropäische Touristen, die in größeren Gruppen Eingänge blockieren und wild gestikulieren. Dänen grüßen knapp: Hej! Das glücklichste Volk der Welt ist bestenfalls zufrieden. Das ist viel, wird aber den Operetten-Liebhabern nie nicht genügen. Vermeide Purpur und Gold. (Außer du bist Königin - noch so ein liebenswerter Selbstwiderspruch der egalitären Royalisten!)



Christiansborg, Großer Saal mit den Tapiserien von Bjorn Norgaard
1000  Jahre dänische Geschichte



Ausschnitt aus einer Tapisserie
(u.a. porträtiert: Virginia Woolf, Groucho Marx und Walter Benjamin)

Politisch ist es heikel. Denn der Wohlfahrtsstaat braucht das "Wir", das ohne Ab- und Ausgrenzung kaum zu haben ist: dazu gehören, sich ein- und anpassen, geschmeidig sein, individuell, aber nicht individualistisch. Ambivalent bis in die tiefsten Schichten der Selbst-Konzeption hinein. Kein Platz für heroische Gewissheiten oder religiöse Wahrheiten. Annahme des Schmerzes ohne Märtyrer-Versprechen. Die Kleine Meerjungfrau wird nicht erlöst. Aber sie ist daheim. Dänen reisen in Campingmobilen, behauptet das Vorurteil, wie die Niederländer. Immer alles wie gewohnt am Platz. Fast jede/r hat ein Sommerhaus. Meer. Wind. Dannebrog. 

Ich häufe Klischees an. Man kann kein Land kennenlernen oder verstehen in 5 Tagen oder 5 Wochen und vielleicht - als Fremde - nicht einmal in 5 Jahren. Man kann sich nur in der Fremde mehr oder weniger zu Hause fühlen. Bei mir führt das Heim-Weh immer gen Norden. Im Süden schwitze ich. Nicht nur. Zu laut. Zu scharf. Zuviel Olivenöl und zuwenig "gute Butter". Die Fülle des Mangels, statt der mangelhaften Fülle. Geordnete Verhältnisse und die gemeinschaftliche Vermeidung einer scheinbar pittoresken Armut. Die Scham, wenn eine/r kein Obdach hat. Kenne ich nur aus nördlichen Ländern. Es flieht ja in Wahrheit niemand gen Süden. Nur mal so in den Wind gesprochen. 

Außerdem brauche ich Brot. Richtiges. Echtes Brot. Knusperkruste für nicht verfaulte Zähne. Im Restaurant Höst aßen wir "neue dänische" Küche: salzige Krabben-Krapfen, fette Hühnerbrühe mit Ei, brennende Kräuter an geröstetem Hühnerfuß, Schweinerollbraten unter fermentiertem Knoblauch, Birkenrinden-Eis. Und so. War spannend. Manchmal wäre weniger mehr gewesen (z.B. brauchte die fantastische Hühnerbrühe keine Calamaris-Einlage). Das Design des Restaurants ist preisgekrönt und spiegelt angeblich dänische Bauernhöfe wieder. Mir erschien es eher wie eine frugale Variante des derzeit angesagten "Industrial Designs". Andererseits: Die dänische Landwirtschaft ist zweifellos durch und durch industrialisiert. Größter Schweinefleisch-Exporteur der Welt.


Restaurant Höst: Malzbrot mit Butter

Ist was faul im Staate Dänemark? Keine Ahnung. Heimelig. Hyggelig. (Das kann eng werden oder sein.) In Hamburg am Hauptbahnhof dagegen wieder kontrovers: Un-hyggelig. (Das kann von ungemütlich bis unheimlich oder katastrophal Vieles bedeuten.) Raus aus der Idylle. Muss (Protestantismus? Pur/e? Vernunft darf niemals siegen.)*!


* Diese Weisheit, freilich, kann nur im Norden gedeihen. Südwärts, rund ums Mittelmeer und so, könnte  ein bisschen leidenschaftslose Liebe zur Vernunft nicht schaden. Vielleicht.

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