Montag, 18. Juli 2016

Montagne St. Victoire für Arme. Und Weltläufe. Aus der Ferne.

Über den französischen Autobahnen der Schriftzug auf den Leuchtanzeigen:


Solidarité avec Nice!

und


Liberté! Egalité! Fraternité!


Ein Land im Schock, durch das wir gen Süden fahren. In Trauer. - Und im Bemühen, sich zu einigen. Nicht hinter dem Präsidenten, hinter der Macht. Sondern: Im Zentrum der Idee/n, die überhöht oder höhnisch die "des Westens" genannt werden. Ich bin kein Bruder und vermag nicht Brüderlichkeit zu teilen. Und trotzdem: der Trotz. Gegen den verdammten Gott der Verdammten, die Vorstellungswelt jener, die sich nur fühlen wollen und Sinn erfahren aus der Begegnung und dem tödlichen Gehorsam gegenüber jenem einen, eifersüchtigen, gewalttägigen GottGottGott, der eben gerade nicht groß ist (bzw. vorgestellt wird), sondern ein kleiner Schisser, der nicht lieben kann, sondern sich die Liebe erkaufen und erpressen muss wie ein widerlicher Dompteur: Gehorche oder verrecke. Dieser dumpfdumme Vollstrecker-Gott mit seinem vorsintflutlichen Regelwerk. Seinen Geboten und Verboten. Seinem Straf- und Belohnungssystem. Unversöhnlich bleib ich gegenüber diesem und seinen Gläubigen. Aber ohne Geschrei. (Schreien, sich gegen die Brust schlagen und in die Luft schießen erscheinen mir als Symbolsprache jener, denen der einzelne Mensch erst durch seinen Pseudo-Märtyrer-Tod wert wird, die den Tod ehren, statt das Leben). Denn (daran glaube ich): Er, der verfluchte GottGottGott liegt in den letzten Zügen.  Seine Protagonisten: Die Loser der Geschichte, des Lebens, der Lachens, der Liebe. Es eint sie nicht, dass "unsere" westlichen Gesellschaften sie nicht anerkannten, ihrer Feigheit und Denkfaulheit den Respekt versagten. Es eint sie eine widersinnige Ideologie und ein Versagen im täglichen Leben "ihren Mann zu stehen", zu zweifeln, zu lernen, zu verstehen, ihre Kinder zu versorgen, mit ihren Partner_innen in achtsamer Gemeinschaft zu leben, sich selbst zu disziplinieren und ihren Mitmenschen mit einem grundsätzlichen Wohlwollen zu begegnen. Narzissten, wie jede Epoche und noch die idealste Gesellschaft sie hervorbringen kann, stoßen, so sie dem islamistischen Milieu nahe oder offen stehen gegenwärtig auf Narrative, die ihr Unvermögen zu leben scheinhaft veredeln. Diese Erzählungen von Opferlämmern und ewig Betrogenen und Belogenen gilt es zu bekämpfen. Wahlweise mit Humor: "Was haben die Römer je für uns getan?"

Vauvenargues. Idylle totalitär
Verzögert am frühen Samstagmorgen im verschlafenen Saint-Amour in der Region Bresse (das berühmte Huhn) erfahren wir vom gescheiterten Putsch in der Türkei. Widersprüchliche Gefühle: Vom Militär als Machthaber ist nicht nur nichts Gutes, sondern in der Tat nur Schlechtes zu erwarten. Die überwältigende Mehrheit der Türken und Türkinnen lehnt den Putsch ab. Er wirkt dilettantisch. Schon wenig später steht der strahlende Sieger fest: Der sich und seine Herrschaft religiös begründende Erdogan. Dass Demokratie nicht die Diktatur einer Mehrheit ist, sondern einen Rechtsstaat voraussetzt, der die Grund- und Menschenrechte sichert, verstehen in der Türkei weder jene, die den gottesfürchtigen Präsidenten unterstützen, noch die meisten, die gegen ihn opponieren. Im Schatten der Sieger und der Besiegten bleibt jene Minderheit, die nicht auf den Straßen kreischt oder schießt, der der Gott der anderen so gleichgültig ist wie ihr die Menschenrechte heilig. Viele Türken und Türkinnen, die ich kenne (und - leider - verstehen sich auch viele, die in der BRD geboren sind, eher als solche, denn als Deutsche), geben sich sehr stolz auf ihr Land, auf das "Türkisch-Sein". Mir ist diese Art Stolz immer fremd geblieben. Heute denke ich, dass ich weinen müsste, wenn dieses Land mein Land wäre. Doch es ist fern, auch gefühlt.

Ferner noch als jenes fremde Frankreich, durch das wir uns von Stau zu Stau gen Süden winden. Die Sprache, die so schön klingt, verstehe ich kaum noch, obwohl ich täglich mit Duolingo übe :-). Saint-Amour wirkt, als habe es noch niemals Fremde gesehen. Nicht arm, aber abgeschieden. Gepflegte Tennisplätze inklusive. Die Bourgeosie isst gerne mit viel Sahne. Das ganze Dorf eine Filmkulisse. Und das stimmt, wie Google zeigt: In Saint Amour drehte Gerard Depardieu einst einen Kinofilm

Lavendelfelder unterhalb der Montagne St. Victoire
Weiter südlich, in der Provence, ist es staubtrocken, aber ein kühlendes Lüftchen weht allezeit, das die Hitze erträglicher werden lässt. Wir hören kaum noch Nachrichten. Vom Swimmingpool unseres Quartiers aus können wir einen Blick auf Cézannes Hausberg, die Montagne Sainte-Victoire erhaschen. Der Berg ruft. Von der Autobahn aus wirkte er einsam thronend, beinahe deplatziert in der Landschaft. Hier, aus der Nähe, ist er nur gelegentlich zu sehen. Wir wandern um das malerische Vauvernagues herum. Das imposante Schloßgebäude hatte sich einst Picasso gekauft, der in einem Brief dann großkotzig schrieb, er habe die Montagne St. Victoire erworben. Picasso blieb nur kurz, Cézanne dagegen war offensichtlich gebunden an diese Gegend. Der Berg rief und rief ein Leben lang. So scheint es. Wir sahen ihn am schönsten vom Damm der Talsperre am Lac du Bimont (Das ist nicht jene Talsperre ein paar Kilometer weiter, die der Vater von Cézannes Schulfreund Emile Zola bauen ließ, am heute sogenannten Lac de Zola).  Im Naturschutzpark St. Victoire entstanden, Ruckizucki, ein paar Bilder: Montagne St. Victoire für Arme. Morgen geht´s Originale von Cézanne gucken. In der Hauptstadt der "wahren" Provence, wie unser Gastgeber stolz verkündete: In Aix. 







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