Sonntag, 7. April 2013

TRICKBETRÜGER (oder: Sie glaubte nicht an die poetische Gerechtigkeit)

Immer wieder war sie dem Vorwurf ausgesetzt, ihre Abneigung gegen den Trickbetrüger sei, wie ihre Ankläger mit angewidertem Ausdruck betonten, "moralisch". Sie hatte nichts gegen Moral. Im Gegenteil: Sie war überzeugt davon, dass gerade deren Verächter am meisten von ihr profitieren. Wie sonst hätten sie ihre stolzen Tabu-Brüche und anmaßenden Idiosynkrasien (Sie liebte dieses Wort, vor allem weil es Georg war, den sie es zum ersten Mal hatte aussprechen hören.) inszenieren können und sich dabei als Avantgarde (von was auch immer) fühlen? Trotzdem stimmte der Anwurf, wenn es um so kleine, verdruckste Trickbetrüger und ihre kapriziösen Hütchen- und Würfelspiele ging, nicht. Sie missbilligte die nicht aus moralischen Gründen, auch taten ihr deren Opfer nicht etwa leid. Sie fand diese Wiederholungstäter in ihrer ewigen Furcht, entdeckt und enttarnt zu werden, einfach nur ermüdend. 

So auch den Claus. Wie dieser brachten sie all die kleinen Taschenspieler mit ihren längst durchschauten, aber immer wieder vorgeführten Täuschungsmanövern nur noch zum Gähnen. (Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als dass auch die andere Sabine ihn so hätte sehen können. Doch verstand sie, selbstverständlich, deren Ekel.) Der Claus hatte immer Angst gehabt, dass ihm eine darauf kommen würde. Deshalb hatte er den Aufwand betrieben. Der Schlankheits- und Fitnesswahn. Das gesunde Essen. Die ausgesuchten Bekanntschaften. Die Besuche in den angesagtesten Clubs. Die Lederjacke mit Hüftanschlag. Die Charme-Offensive (Das war ein Wort gewesen, das der Claus liebte.) Der Claus hatte nicht gefürchtet, dass jemand entdecken könnte, was sich hinter seiner Maske, hinter dem Grübchen-Lächeln und dem Hunde-Augenaufschlag, dem raschen Wechsel von Schalk zu Melancholie-Getue verbarg. Er hatte Panik davor gehabt, das begriff sie erst jetzt, da es zu spät war, zu spät für die Rache und zu spät für die Gleichgültigkeit, zu spät, ihn zu retten oder zu vernichten, es könnte jemand der Leere ins Angesicht starren, die er mit soviel Anstrengung vertuschte. Aber sie hatte kein Mitleid. Nicht einmal, nachdem ihr klar geworden war, was die andere Sabine ihm angetan hatte. Und wie. 

Es gab keine Gerechtigkeit. War sie es nicht gewesen, die genau das begrüßt hatte? Nun hatte sie die andere mit einer poetischen überrascht. Sie glaubte nicht daran. Sie beide würden keine Freundinnen mehr werden. Aber was die Sache mit dem Claus anging, stand sie auf deren Seite. Es war gut, dass es mit ihm vorbei war. Sie konnte seinen Namen vergessen, dachte sie. Konnte sie das?

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